Wie seltsam sind wir Menschen und noch seltsamer ist uns unser Glücklichsein geworden.
Seltsam sind wir, weil unser Glück ist wie ein kurzes Lied, das wir erst singen, wenn es bei uns ankommt.
Das schönste an seiner Gegenwart ist, dass sie unerwartet uns beglückt...
Am schönsten verewigt es sich, wenn es aus der Erinnerung belebt wird.

Glücklichsein ist aus seltsamer Materie, die aus dem“ Nichts“ sich bildet. Manche nennen dieses „Nichts“ die Stimmung, ich nenne sie das Gedächtnis.
Unser Glück kennt immer wieder das Erstaunen, unsere Trauer kennt die dauerhafte Wirkung ohne nachvollziehbare Ursache, ohne Stimulator für die Erinnerung...
Ich werde mich heute freuen. Und gehe mit Freude schlafen. Ich werde dabei an die vergangenen Jahre, an Erlebtes, an gesammelte Erfahrungen denken.
Vielleicht werde ich all die Jahre, in denen ich für mich lebte, ohne Druck und ohne Leistung, in Wachträumen in der Stille der Nacht, wieder erleben.
War die Zeit eine verlorene die nichts Neues erworben hatte, oder ist auch die Zeit, die ohne materiellen Gewinn vergeht ein Gewinn?
Ist es nicht genau das, was uns die Kriege beibringen: Materie ist vergänglich und nur das Erlebte kann, aus dem Grauen des Lebens und dessen vergänglichen Jahren, übrigbleiben.


Ich gehe schlafen, mit den Blumen in der Taille, mit der Erinnerung im Herzen und mit ihm unter den Augenlidern.

Aus "eine Frau namens Syriana" Beatrice Kassis
©beatrice Kassis 


Lüge nicht heute, damit ich dir morgen, weil die Lügen kurze Beine haben, glaube. Doch ich werde manchmal lügen, weil die Lügen immer wieder eine Notwendigkeit sind. Mit ihrer Hilfe setzt sich die Leichtigkeit im Leben fort und das Leben lässt sich ein bisschen zum Schöneren wenden.
Ich lüge zum Beispiel, wenn ich meine Augen schwarz bemale und mein Gesicht mit Farben beschmiere, wenn ich die Kleidung kaufe die mein gewünschtes körperliches Dasein zeigt und die andere, die mir nicht vorteilhaft scheint, wegwerfe.
Ich lüge auch, wenn ich ein Wort statt eines anderen bewusst wähle und wenn ich meine Ausdrücke schöner wirken lasse.
Meine Lügen sind harmlos und beschädigen nicht meine Nachbarn, nicht meine Freunde und auch nicht die Menschen, die ich liebe.
Die Lügen sind auch unterschiedlich, sie variieren untereinander. Manche, wie der Aprilscherz, sind beliebt und lassen gerne auf sich warten, manche anderen laden uns ein uns zu wünschen, an sie glauben zu können, und zwischen diesen und den anderen Arten von Lügen schwimmen unsere Sehnsüchte, Haltungen, Leidenschaften und unsere gebildeten und geheimnisvollen Ideen und Interessen.
Was ist eine Lüge und wann ist sie keine Straftat?
Die Lüge braucht das Wort.
Ehrlichkeit braucht das Wort, bekräftigt durch die Tat.
Die Tat kann ohne die Unterstützung des Wortes nicht geschätzt werden, weil sie oft verborgen bleibt und durch Details nach Erklärung verlangt.
Die Lüge pflanzt bei dem Empfänger Vorstellungen, denen das Reale, Gesagte oder manchmal das Gefühlte nicht entsprechen kann, aber auf Grund ihrer Notwendigkeit überlebt sie die Zeiten auch zwischen verschiedenen Zivilisationen und Epochen der menschlichen Geschichte.
Wenn die Lüge nicht so notwendig wäre, dann hätten die Philosophen sie sich nicht zu Eigen gemacht und die Historiker sich nicht großzügig ihrer bedient, trotzdem sie das Wort missachtet und es für eigene Interessen nutzt.

Zuletzt bleibt die Frage:
Wenn uns die Möglichkeit gegeben würde, etwas nach dem Gesetz Verbotenes zu bestrafen; was sollen wir dann verbieten, um zu bestrafen:
Den Lügner...?
Die Lüge...?
Oder das Werkzeug der Lügen: das Wort?

Aus:
"Sie wollte nur leben" Beatrice Kassis
©beatrice Kassis